100 % BIO in Österreich – geht das überhaupt? Und wie!
Lassen wir die Zahlen sprechen: Ob Bio-Betriebe, Bio-Flächen oder Bio-Umsatz – Österreichs Bio-Sektor ist auf Wachstumskurs. Jeder vierte Hektar wird in Österreich mittlerweile biologisch bewirtschaftet.
Damit ist Österreich beim Bio-Flächenanteil nach wie vor Spitzenreiter in der EU. Aber sind auch 100 % BIO und somit eine Umwelt ohne chemisch-synthetische Pestizide in Österreich zeitnah umsetzbar oder ist das eine Utopie?
Wissenschaftler:innen sind der Frage nachgegangen und kommen zu dem Schluss:
Ja, eine flächendeckende Umstellung auf biologische Landwirtschaft würde die Ernährungssicherung Österreichs gewährleisten.
Vorausgesetzt, wir sind gemeinsam bereit, an ein paar Schrauben unserer Ernährungsgewohnheiten zu drehen: Wenn wir unseren Fleischkonsum und die Menge der Lebensmittel, die jährlich im Müll landen, reduzieren, kann BIO auch eine wachsende Bevölkerung in Österreich in ausreichendem Maße ernähren.
Mehr dazu findest du auch in unserem Artikel:
Müssen wir jetzt alle „Zero-Waste-Veganer“ werden?
Klartext bitte: Um wie viel müssten wir unseren Fleischkonsum und unsere Lebensmittelabfälle reduzieren?
Das Ergebnis einer von der Universität für Bodenkultur und vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) durchgeführten Studie stimmt positiv: Bereits eine Reduktion der vermeidbaren Lebensmittelabfälle um 25 % oder des Fleischkonsums um 10 % könnte die Versorgung der österreichischen Bevölkerung mit Bio-Lebensmitteln sicherstellen!
Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt, oder?
Das sollten wir doch wirklich hinbekommen. Unsere Bewusstseinsbildung und Aufklärung können viel Gutes tun, um die Lebensmittelverschwendung in privaten Haushalten zu reduzieren. Aber auch die Politik darf (sollte, müsste …) jetzt ganz sicher Impulse gegen die Lebensmittelabfälle setzen, um ein enkeltaugliches Österreich mitzugestalten. Denn Lebensmittelverschwendung geht die gesamte Wertschöpfungskette an – von der Landwirtschaft bis zum Handel.
Lebensmittelverluste in der Landwirtschaft können in vielen Bereichen auftreten, beispielsweise weil die Produkte teilweise untergepflügt (am Feld vernichtet) werden, wenn sie keinen ausreichenden Preis auf dem Markt erzielen können, weil sie z. B. kleine
Macken haben und daher nicht vom Handel abgenommen werden oder weil krummes oder verwachsenes Obst und Gemüse mehr Transportkosten verursacht. Weiters werden Tausende Tonnen guter Lebensmittel in der Lebensmittelindustrie entsorgt. Viele Handelsunternehmen müssen ihren Lieferant:innen den Weiterverkauf von Lebensmitteln, die durch Qualitätskontrollen gefallen sind, untersagen. Hier geht es aber häufig um äußere Qualitätskriterien, wie zum Beispiel Mängel an der Verpackung oder Kennzeichnung, Über- oder Untergewicht etc.
Obwohl diese Produkte ohne Einschränkungen verzehrt werden könnten, müssen sie vernichtet werden und dürfen nicht als sogenannte Restanten verkauft werden.
Auch im Lebensmittelhandel sind viele Lösungen möglich, um Lebensmittelabfälle zu reduzieren.
Obst- und Gemüseauslagen sowie Brotregale sollen nicht noch am späten Abend mit leicht verderblichen Waren aufgefüllt werden, sondern jeweils nach und nach bedarfsgerecht mit kleineren Mengen. Die Qualitätsanforderungen für Obst und Gemüse müssen so geändert werden, dass auch nicht normgerechte Produkte (ugly foods), die zu groß, zu klein oder krumm sind und kleine optische Fehler (z. B. Schorfstellen) haben, wieder im Handel angeboten werden. Förderlich wäre auch eine Ausweitung des losen Sortiments – so wird bedarfsgerechtes Einkaufen möglich …
Ach, es gäbe so viele Möglichkeiten!
Aber es gibt da noch anderes zu klären!
Ist BIO wirklich zu teuer, um es als Standard einzuführen? Oder können wir uns eher die Produktion mit chemisch-synthetischen Pestiziden nicht mehr länger leisten?
Die, die jetzt denken: „BIO ist aber zu teuer”, können wir beruhigen. Würde man die wahren Kosten der konventionellen Landwirtschaft aufzeigen, würde man erkennen, dass BIO vielleicht heute einige Cent mehr kostet, aber es kostet unseren Enkelkindern nicht die Welt. Eine Studie des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) beleuchtete die Kosten, die in Österreich durch die Landwirtschaft entstehen. Selbst bei einer konservativen Schätzung verursacht die Landwirtschaft in Österreich Schäden in Höhe von mindestens 1,3 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Schäden trägt jedoch der/die SteuerzahlerIn und sie scheinen in der Berechnung der Lebensmittelpreise nicht auf.
Durch eine Umstellung Österreichs auf 100 % Bio-Landbau würden die Kosten laut Berechnungen um mindestens ein Drittel sinken und es könnten 425 Mio. Euro jährlich eingespart werden.
Dies bildet allerdings nur einen Bruchteil der gesamten externen Kosteneinsparung durch Bio-Bewirtschaftung ab, da viele Kostenarten, wie die nicht monetär bewertbaren chronischen Gesundheitskosten durch den Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide oder die Kosten durch den Verlust von Bestäubern, in der Studie nicht miteingerechnet wurden.
Unserer Ansicht nach müsste endlich das Verursacherprinzip angewendet werden und dadurch Kostenwahrheit geschaffen werden. Warum dies politische Verantwortungsträger:innen nicht tun, ist uns ein Rätsel. Also, im Klartext: Dass BIO derzeit teurer ist, während es doch den Boden, die Artenvielfalt und die Umwelt langfristig schützt und fruchtbar erhält, liegt daran, dass keine Kostenwahrheit herrscht. Die Konsument:innen werden eigentlich in die Irre geführt.
Dies führt unweigerlich auch zu einer fehlgeleiteten Förderpolitik für Landwirt:innen und einer Marktverzerrung. Wären die wahren Kosten der Produktion eingerechnet, wäre klar, dass wir uns nur eines nicht mehr leisten können, nämlich weiterhin diese Vielfalt an chemisch-synthetischen Pestiziden und Kunstdüngern auszubringen.
Mehr dazu in unserem Artikel: Ist BIO zu teuer?
Können wir einen hohen Grad an Selbstversorgung in Österreich auch 100 % biologisch erreichen?
Oft heißt es ja, manche Kulturen „brauchen“ einfach chemisch-synthetische Pestizide, der Bio-Anbau wäre oft nicht ertragreich genug. Dass Bio-Anbau in den unterschiedlichsten Kulturen erfolgreich möglich ist, haben unsere Bio-Bauern und Bio-Bäuerinnen aber schon längst bewiesen. Und die Strategie der Stunde ist es nicht, noch mehr Ertrag pro m2 durch Kunstdünger und chemisch-synthetische Pestizide auf Kosten der natürlichen Bodengesundheit zu erreichen, sondern eine ganzheitliche, enkeltaugliche Lebensmittelproduktion. Auch hier können wir also wieder auf dieselben zwei Mechanismen hinweisen: Weniger Lebensmittelabfälle erhöhen den Selbstversorgungsgrad und weniger Fleisch und Futteranbau, stattdessen mehr direkter Bio-Nahrungsmittelanbau, lösen das Problem bewiesenermaßen und alles geht sich wunderbar aus, während die Umwelt gesund erhalten wird.
Doch ganz ohne Import (und Export) kommen wir in Österreich sowieso nicht aus, unabhängig vom Selbstversorgungsgrad. Die 100%ige Selbstversorgung wäre so oder so utopisch, denn regionalen Kaffee und Bananen aus dem Waldviertel schafft selbst der findigste Bio-Bauer oder die Bio-Bäuerin nicht. Aber eine Unabhängigkeit von (aus dem Ausland kommenden) chemisch-synthetischen Pestiziden, extrem teuren Kunstdüngern und Futtermitteln – das wäre doch was, oder?
Was wären die Folgen von 100 % BIO in Österreich?
Dass 100 % BIO in Österreich machbar sind, haben wir wohl wirklich ausführlich bewiesen und belegt. Alle, die es ganz genau wissen wollen, finden unten noch mehr Details und Quellenverweise.
Also, stellen wir uns vor, wir hätten unser Ziel erreicht. Was wären die Folgen von 100 % BIO in Österreich?
- Hohe finanzielle Einsparungen – weniger Folgekosten aus der konventionellen Landwirtschaft (Reparaturkosten)
- Hohe Einsparungen an chemisch-synthetischen Pestiziden; Reinigung der Böden, Gewässer, Atemluft
- Hohe Einsparungen an Kunstdünger und Nitratemissionen
- Beachtliche Einsparungen an Treibhausgasen, daher auch weitere finanzielle Einsparungen wegen geringerer CO2 Strafzahlungen
- Regionale Versorgung mit gesunden Lebensmitteln, frei von chemisch-synthetischen Pestiziden, und eine mögliche Entlastung des Gesundheitssystems
- Österreichweite höhere Standards in der Tierhaltung
- Eine enkeltaugliche Umwelt in Österreich
Nicht schlecht, oder? Jetzt können wir die Frage doch eigentlich umdrehen: Was spricht denn noch gegen 100 % BIO in Österreich? Was meinst du?
Für alle Leseratten, die noch mehr wissen wollen:
WissenschaftlerInnen haben es ganz genau berechnet …
Eine Studie des Forschungsinstituts für biologischen Landbau und der Universität für Bodenkultur ist der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen eine flächendeckende Umstellung auf BIO auf die Ernährungssituation sowie auf ökologische und volkswirtschaftliche Aspekte in Österreich hätte.
Dafür haben die WissenschaftlerInnen die in der österreichischen Landwirtschaft produzierten Energiemengen dem Kilokalorienbedarf der Bevölkerung gegenübergestellt. Nach Abzug der Anteile von Lebensmittelabfall, Saatgut und der technisch-industriellen Nutzung von Nahrungsmitteln (z. B. für Agrosprit), die nicht für die menschliche Ernährung zur Verfügung stehen, produziert die (vorwiegend konventionelle) österreichische Landwirtschaft derzeit eine Gesamtenergiemenge von rund 10 800 Mrd. Kilokalorien pro Jahr. Dem steht ein Kilokalorienbedarf der österreichischen Bevölkerung (rund 8,7 Millionen EinwohnerInnen) von rund 6800 Mrd. Kilokalorien gegenüber. Das bedeutet, es werden deutlich mehr Kilokalorien produziert, als für die Ernährung aller BewohnerInnen notwendig ist – die Ernährung der österreichischen Bevölkerung ist demnach mehr als gesichert.
Bei der Annahme einer flächendeckenden Umstellung auf biologische Landwirtschaft haben die StudienautorInnen die häufig geringeren Bio-Erträge berücksichtigt. Sie gingen von durchschnittlich einem Drittel niedrigeren Erträgen im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft aus (wobei dies eher hoch gegriffen ist; in anderen Untersuchungen geht man in Industrieländern von 8–25 % niedrigeren Erträgen bei Bio-Bewirtschaftung aus). Die tierischen Leistungen wurden um 10 % geringer angenommen.
Eine flächendeckende Umstellung auf biologische Landwirtschaft würde demnach eine Energiemenge von rund 6600 Mrd. Kilokalorien pro Jahr produzieren. Das bedeutet, dass bei unserem derzeitigen Ernährungsstil eine 100%ig biologische Produktion unseren Lebensmittelbedarf knapp nicht decken kann.
Hier kommt die gute Nachricht:
Bereits eine geringfügige Veränderung unserer Ernährungsgewohnheiten würde laut Studie eine vollständige Versorgung mit Bio-Lebensmitteln ermöglichen. Die ForscherInnen kommen zu dem Schluss, dass bereits eine Verringerung des gegenwärtigen Fleischkonsums um 10 % dazu beitragen könnte, dass der Bio-Landbau den aktuellen Nahrungsmittelbedarf zu 100 % decken könnte. Und wir würden damit nicht nur der Umwelt und den landwirtschaftlichen Nutztieren, sondern auch unserer Gesundheit etwas Gutes tun.
Der Artikel wurde in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für biologische Landwirtschaft in Österreich – FiBL erstellt
Verwendete Literatur
Badgley, C. (2007): Organic agriculture and the global food supply. Renewable Agriculture and Food Systems, Volume 22, pp 86–108.
Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus (Hrsg.) (2020): Grüner Bericht 2020.
Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus (Hrsg.) (2018): Biologische Landwirtschaft in Österreich.
Kummer, S. (2020): Studie „Bioland Burgenland“: 50 % Bioflächenanteil im Burgenland bis 2027: Analyse der möglichen Auswirkungen und Maßnahmen für die Umsetzung. FiBL
Müller, A.; Schader, C.; El-Hage Scialabba, N.; Brüggemann, J.; Isensee, A.; Erb, K.-H.; Smith, P.; Klocke, P.; Leiber, F.; Stolze, M. & Niggli, U. (2017): Strategies for feeding the world more sustainably with organic agriculture. Nature Communications 8: 1290; DOI: 10.1038/s41467-017-01410-w.
Obersteiner, G. & Luck, S. (2020): Teller statt Tonne. Lebensmittelabfälle in österreichischen Haushalten. Status quo. Universität für Bodenkulur; WWF (Hrsg.).
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Schader, C. et al. (2013): Volkswirtschaftlicher Nutzen der Bio-Landwirtschaft für Österreich. Beitrag der biologischen Landwirtschaft zur Reduktion der externen Kosten der Landwirtschaft Österreichs
Schlatzer, M. & Lindenthal, T. (2018): 100 % Biolandbau in Österreich – Machbarkeit und Auswirkungen. Auswirkungen einer kompletten Umstellung auf biologische Landwirtschaft in Österreich auf die Ernährungssituation sowie auf ökologische und volkswirtschaftliche Aspekte. Endbericht. Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) Österreich und Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit, Universität für Bodenkultur, Wien.
https://www.bio-austria.at/bio-bauern/statistik/ (abgerufen am 03.05.2021)