Ist BIO zu teuer? Oder können wir uns billige Lebensmittel nicht mehr leisten?
Dass BIO der richtige Weg für den Erhalt unserer Natur, also unserer Böden, Artenvielfalt etc. ist, wissen wir. Aber wer hat nicht auch schon das Gegenargument gehört:
„BIO ist schon toll, aber zu teuer!”
„Wie soll ich mir Bio-Lebensmittel für meine Familie leisten können?”
„Wie stellt ihr euch das vor?”
Daher die gute Nachricht am Anfang:
BIO ist durchaus leistbar. Oder: 12 Euro, die die Welt verändern.
Eine Studie des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) zeigt, dass nachhaltig und gesund essen durchaus leistbar ist.
Dafür wurde ein durchschnittlicher Wocheneinkauf für eine vierköpfige Familie in verschiedenen Varianten berechnet.
Es zeigt sich, dass der Umstieg des Einkaufsverhaltens auf einen gesünderen Warenkorb mit weniger Fleisch, mehr Obst und Gemüse, weniger Softdrinks etc. der Schlüssel ist. Wir tun dabei uns etwas Gutes und … der Natur.
Sogar in der billigsten Kategorie (Warenkorb vom Diskonter) kostet die gesunde Variante um 20 Euro pro Woche weniger als die ungesunde. Es kann bei der gesunden Variante der Großteil der Lebensmittel, nämlich rund 70 %, sogar in Bio-Qualität gekauft werden, ohne mehr als bei der ungesunden Variante zu bezahlen.
Der vollständige Umstieg von einem durchschnittlichen Wocheneinkauf aus gängigen Markenprodukten auf eine gesündere Bio-Variante kostet laut der Modellrechnung nur um 12 Euro mehr.
12 Euro. Für ein enkeltaugliches Österreich.
Sind uns LEBENSmittel nicht so wichtig wie andere KONSUMgüter?
Tatsache ist: Machten Lebensmittel 1954 noch fast 45 Prozent der Haushaltsausgaben aus, waren es 1974 nur mehr 27 Prozent. Derzeit entfallen nur noch rund 11 Prozent der Haushaltsausgaben auf Ernährung und alkoholfreie Getränke. Die Wertigkeit von gesunden Lebensmitteln als wichtiger Teil des Lebensstandards ist gesunken – mit dramatischen Folgen für die Natur.
Darüber sollten wir nachdenken.
Reden wir über Kostenwahrheit ODER WIE WIR DERZEIT GETÄUSCHT WERDEN.
Welche Folgen hat also der Einkauf von möglichst billigen Lebensmitteln überhaupt?
Gerade die intensive Lebensmittelproduktion mit chemisch-synthetischen Pestiziden verursacht Umwelt-, Klima- und Gesundheitsschäden, für die wir zu einem späteren Zeitpunkt als Gesellschaft unter anderem in Form von Steuern bezahlen müssen.
Die scheinbar billigen Lebensmittel kommen uns also beim genaueren Hinsehen auch finanziell teuer zu stehen. Einige dieser Kosten entstehen lokal, etwa durch die
- Belastung des Trinkwassers durch schnelllösliche Mineraldünger und chemisch-synthetische Pestizide,
- Abnahme des Humusanteils im Boden,
- daraus resultierende Hochwasserereignisse
- oder Luftverschmutzung,
andere global, durch die Folgen der
- Klimakrise, an der auch die Art der landwirtschaftlichen Produktion einen erheblichen Anteil hat.
Es fallen aber auch monetär nur schwer messbare Faktoren darunter, wie mit dem Einsatz von Pestiziden verbundene
- Gesundheitskosten oder
- Kosten, die durch den Verlust von Bestäubern entstehen.
Es besteht also eine Diskrepanz zwischen den Lebensmittelpreisen und den wahren Kosten ihrer Produktion.
Dies hat zur Folge, dass Lebensmittel, die mit hohen Kosten für die Umwelt einhergehen, billiger sind als nachhaltiger produzierte Alternativen. Und so werden umweltschädigende Konsum- und Produktionsmuster gefördert.
Bisher werden diese gesellschaftlichen Kosten, wenn überhaupt, nur unzureichend berücksichtigt und scheinen nicht im Produktpreis auf.
Sie werden der Produktion einfach nicht zugeordnet. Die wahren Kosten nicht nachhaltiger, ungesunder Ernährung müssten also konsequent sichtbar gemacht und eingepreist werden.
Verantwortlich für die Verzerrung des wahren Preises von billigeren Lebensmitteln sind also die sogenannten „externen Kosten”, die zwar nicht direkt beim Einkauf, aber schließlich eben doch von der Allgemeinheit, also von uns allen, zu zahlen sind.
Wir bezahlen also für billige Lebensmittel zweimal?
Ja. Folgekosten der Landwirtschaft werden großteils von der Gesellschaft getragen. Engagierten Bäuerinnen und Bauern wird ihr Einsatz für das Vermeiden derartiger Probleme meist nicht ausreichend abgegolten. Dies ist den gegenwärtigen Rahmenbedingungen für landwirtschaftliche Förderungen geschuldet. Denn sie begünstigen nach wie vor eine Landwirtschaft mit zu vielen unerwünschten Folgen für uns alle und das, obwohl ein anderer Weg – erwiesenermaßen – bereits möglich wäre.
Selbst bei einer konservativen Schätzung verursacht die Landwirtschaft in Österreich demnach Schäden in Höhe von mindestens 1,3 Milliarden Euro pro Jahr. Bei den errechneten Kosten handelt es sich unter anderem um Reparaturmaßnahmen, die z. B. durch die Aufbereitung von nitrat- und pestizidkontaminiertem Trinkwasser entstehen.
Durch eine Umstellung Österreichs auf 100 % Bio-Landwirtschaft würden die errechneten Kosten um mindestens ein Drittel sinken und es könnten so laut Berechnungen 425 Millionen Euro eingespart werden.
Das Geld könnte man doch besser investieren, oder?
Die hohen externen Kosten werden daher auch nicht von den eigentlichen Verursachenden und Profitierenden, den Herstellenden der chemischen Wirkstoffe, übernommen, sondern von uns allen.
Was ist die Lösung? Wie können wir Kostenwahrheit herstellen?
Würden sich die externen Kosten in den Lebensmittelpreisen widerspiegeln, würden die derzeit häufig teureren Bio-Lebensmittel preislich besser abschneiden.
Schließlich reduzieren die biologische Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion allein durch den Verzicht auf schnell lösliche mineralische Düngemittel und chemisch-synthetische Pestizide die externen Kosten für die Gesellschaft deutlich. Sie versorgen uns mit hochwertigen, nachhaltig produzierten, gesunden Lebensmitteln, die ihren Preis wert sind, und fördern zudem auch noch die Artenvielfalt, Bodengesundheit, unabhängige Bäuerinnen und Bauern … also einen schönen, gesunden Lebensraum.
Eine gute Nachricht: Immer mehr KonsumentInnen hinterfragen beim Lebensmitteleinkauf das Motto „Billig um jeden Preis“ und treffen trotz des derzeitigen Systems der Preisbildung eine Kaufentscheidung für die oft teureren, aber nachhaltigeren Bio-Produkte. Und das freut uns.
Um die Kostenwahrheit transparent abzubilden, das Verursacherprinzip zu forcieren und das Potenzial der biologischen Landwirtschaft zur volkswirtschaftlichen Kosteneinsparung voll nutzen zu können, schlagen die AutorInnen des FiBL auch konkrete Maßnahmen vor, wie die
- Einführung einer Stickstoff-, Energie- und Pestizidsteuer
- sowie die Schaffung von Rahmenbedingungen, die die Innovationskraft des Bio-Landbaus in Praxis, Beratung und Forschung unterstützen und anerkennen.
Die Bewegung „Enkeltaugliches Österreich“ arbeitet gemeinsam mit Bäuerinnen und Bauern, UnternehmerInnen, Partnerorganisationen und WissenschaftlerInnen an weiteren praxisorientierten Lösungsansätzen, die für KonsumentInnen – also für uns alle – den Preis des langfristig wirtschaftlicheren = nachhaltigeren Produktes auch im Regal richtig darstellen.
Und mit einer Gesellschaft, die sich jetzt schon dazu entscheidet, dass gesunde Lebensmittel, fruchtbare Böden und eine große Artenvielfalt wichtig sind, und mit einigen von uns, die vielleicht sogar mit 12 Euro mehr pro Wocheneinkauf einen gesunden Ernährungsumstieg und den damit einhergehenden Naturschutz umsetzen können oder auch nur einen Einstieg in die Welt der Bio-UnterstützerInnen wagen, ist ein großer Schritt getan. Auf dem Weg zu 100 % BIO.
Bleib dran! Wir halten dich auf dem Laufenden, denn: Es bleibt spannend.
PS: … und das Klima sagt DANKE!
Bevor wir es vergessen: Von der Veränderung unseres Einkaufsverhaltens profitiert auch das Klima! Mit einem Umstieg auf den gesünderen und biologischen Einkaufskorb kann eine vierköpfige Familie etwa 40 % der ernährungsbedingten Treibhausgase einsparen.
Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für biologische Landwirtschaft in Österreich – FiBL erstellt.
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