Wien, April 2025 – Während Österreicherinnen und Österreicher im Supermarkt für ihre Lebensmittel bezahlen, begleichen sie unwissentlich ein zweites Mal die Rechnung: Über Steuern werden die Folgekosten der nicht biologischen regionalen Landwirtschaft durch die Bevölkerung mitfinanziert. Diese mangelnde Kostenwahrheit in der Landwirtschaft verursacht EU-weit jährlich zwischen 78 und 157 Milliarden Euro an externen Kosten – das entspricht etwa 0,5-1% des Bruttoinlandsprodukts. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Untersuchung der Bewegung „Enkeltaugliches Österreich“ (ETÖ).
Ökologische Auswirkungen der konventionellen Landwirtschaft sind erschreckend und kostspielig: Treibhausgasemissionen aus dem Agrarsektor (besonders die Produktion von Kunstdünger) machen 10-12% der Gesamtemissionen der EU aus – mit jährlichen Kosten von 50-100 Milliarden Euro. Der fortschreitende Verlust der Artenvielfalt belastet den europäischen Haushalt mit geschätzten 5-10 Milliarden Euro pro Jahr. Wasserverschmutzung und übermäßiger Wasserverbrauch schlagen mit weiteren 4-7 Milliarden Euro zu Buche, während die Luftverschmutzung zusätzliche 5-10 Milliarden Euro jährlich verschlingt. Hinzu kommen gesundheitliche Folgekosten durch Pestizideinsatz von schätzungsweise 2-5 Milliarden Euro jährlich. Diese Zahlen bleiben der Öffentlichkeit meist im Verborgenen.
Dem gegenüber steht ein massiv ungenutztes Potenzial einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion: Maßnahmen zum Erhalt der Biodiversität könnten in der EU jährlich einen Nutzen von geschätzten 10-15 Milliarden Euro generieren. Verbesserungen in der Bodenfruchtbarkeit und Kohlenstoffbindung haben einen potenziellen Wert von 5-15 Milliarden Euro pro Jahr. Die Förderung von Wasserqualität trägt weitere 1-2 Milliarden Euro bei. Zudem stärken nachhaltige Ansätze ländliche Gemeinschaften und schaffen eine jährliche Wertschöpfung von bis zu 5 Milliarden Euro.
Die Bewegung Enkeltaugliches Österreich arbeitet seit 2024 an einer umfassenden Meta-Analyse bestehender Studien und bereitet einen qualitativen Forschungsantrag vor. „Unter der Leitung von Prof. Dr. Sigrid Stagl, gemeinsam mit Prof. Dr. Christian Vogl von der BOKU, wollen wir jene Zahlen und Folgen für Österreich berechnen, die noch fehlen„, erklärt ETÖ-Vorständin Barbara Holzer. „Diese enormen Zahlen aus der EU und die Daten, die wir aus Österreich und Deutschland bereits kennen, verdeutlichen die Notwendigkeit, das Bild der Folgen, Folgekosten und auch der Mehrleistungen der Bio-Bauern zu quantifizieren. Nur so können wir zukunftsfähige Steuerungseffekte im Sinne der Generationenverantwortung entwickeln und umsetzen.“
Eine aktuelle Umfrage, die ETÖ mit dem Marktforschungsinstitut Marketagent gemacht hat, offenbart erhebliche Wissenslücken: Nur etwa ein Drittel der österreichischen Bevölkerung (33,8%) ist mit dem Begriff „Kostenwahrheit“ vertraut. Weniger als die Hälfte (47%) ist sich bewusst, dass Umweltschäden und soziale Auswirkungen der Lebensmittelproduktion nicht im Produktpreis enthalten sind, sondern von der Allgemeinheit getragen werden. Lediglich 32% wissen, dass die konventionelle Landwirtschaft mit höheren jährlichen Folgekosten für Steuerzahler verbunden ist als die biologische.
„Unsere Umfrage belegt, dass viele Menschen nicht wissen, dass sie für die Folgekosten konventioneller Landwirtschaft mehrfach bezahlen – einmal beim Einkauf und ein zweites Mal über ihre Steuern,“ erläutert Barbara Holzer, strategische Leiterin von ETÖ.
Die Umfrage zeigt ein interessantes Paradoxon: Während 72% der Österreicherinnen und Österreicher sich der negativen Umweltauswirkungen konventioneller Landwirtschaft bewusst sind – von Pestizid- und Nitratrückständen im Trinkwasser über Biodiversitätsverlust bis hin zu Klimaschäden durch energieintensive Kunstdüngerproduktion – fehlt bei der Mehrheit das Verständnis für die damit verbundenen finanziellen Folgekosten. „Es besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen dem Umweltbewusstsein und dem Kostenbewusstsein,“ erklärt Holzer. „Die Menschen erkennen die ökologischen Probleme, verbinden diese aber nicht mit den wirtschaftlichen Folgen, die letztendlich jede und jeder Einzelne über Steuern und Abgaben mitfinanziert.“
Trotz vorhandener Wissenslücken besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens über den Lösungsweg: 84% der Befragten wünschen sich, dass Folgekosten durch eine verstärkte, kontrolliert bioregionale Lebensmittelproduktion vermindert werden, um diese Produkte für Verbraucherinnen und Verbraucher günstiger zu machen. Eine überwältigende Mehrheit (83%) möchte, dass der Staat die bioregionale Landwirtschaft stärker fördert, um zur Verringerung der Folgekosten beizutragen. Besonders deutlich ist die Zustimmung (72%) zur Forderung, in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäusern oder Behörden verstärkt bioregionale Produkte zu verwenden.
„Die Umfrage zeigt deutlich: Die Österreicherinnen und Österreicher wollen eine Landwirtschaft, die langfristig die natürliche Versorgungssicherheit unseres Landes erhält und nicht nur kurzfristig, auf Kosten der nächsten Generationen wirtschaftet. Sie sind bereit für Veränderung und erwarten entsprechendes Handeln von der Politik“, fasst Holzer zusammen.